Pressemitteilung
Sterngeburt in den Winden supermassereicher Schwarzer Löcher
Das VLT der ESO entdeckt neue Art der Sternentstehung
27. März 2017
Zum ersten Mal ist es Forschern gelungen nachzuweisen, dass in den starken Materiewinden, die aus supermassereichen Schwarzen Löchern in Galaxienkernen stammen, Sterne entstehen können. Für unser Verständnis von Galaxieneigenschaften und -entwicklung hat die Entdeckung, die mit dem Very Large Telescope der ESO gelang, weitreichende Folgen. Die Ergebnisse werden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Eine Gruppe europäischer Astronomen konnte mit den Instrumenten MUSE und X-shooter am Very Large Telescope (VLT) am Paranal-Observatorium der ESO in Chile eine gerade stattfindende Kollision zwischen zwei Galaxien untersuchen. Beide Objekte werden zusammen als IRAS F23128-5919 bezeichnet und sind rund 600 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Die Gruppe beobachtete die überdimensionalen Winde aus Materie, die in der Nähe eines supermassereichen Schwarzen Lochs im Herzen der südlicheren Galaxie entstehen, und fanden erstmals klare Hinweise dafür, dass in solchen Winden Sterne geboren werden [1].
Solche Galaxienwinde werden durch den enormen Energieausstoß aktiver und turbulenter Galaxienkerne angetrieben. Supermassereiche Schwarze Löcher lauern in den meisten Galaxienzentren, wo sie das umgebende Gas aufheizen, sobald sie Materie verschlingen, und es in Form starker, dichter Winde aus ihrer Heimatgalaxie herausschleudern [2].
„Astronomen gehen bereits seit einer Weile davon aus, dass die Bedingungen in diesen Winden für Sternentstehung geeignet sein könnten. Allerdings konnte es bisher niemand tatsächlich nachweisen, da solche Beobachtungen sehr schwierig sind“, erläutert Roberto Maiolino von der University of Cambridge, der Leiter des Teams. „Unsere Ergebnisse versetzen uns deshalb so in Aufregung, weil sie eindeutig zeigen, dass Sterne innerhalb dieser Winde entstehen.“
Die Gruppe begann, die Sterne in den Winden sowie das Gas, das sie umgibt, direkt zu untersuchen. Um herauszufinden, wo es herkommt, nahm die Gruppe mit zwei der weltweit leistungsfähigsten Spektrografen, MUSE und X-shooter, die Eigenschaften des emittierten Lichts genauer unter die Lupe.
Es ist bekannt, dass die Strahlung junger Sterne Gaswolken in ihrer Nähe auf charakteristische Weise zum Leuchten anregen kann. Das extrem empfindliche Instrument X-shooter hat es den Wissenschaftlern ermöglicht , andere mögliche Ursachen für das Leuchten des Gases auszuschließen, wie etwa Stoßwellen im Gas oder den aktiven Kern der Galaxie.
Dann entdeckte die Gruppe eine Population sehr junger Sterne in den Winden [3], die vermutlich nur wenige Millionen Jahre alt sind. Eine vorläufige Analyse deutet darauf hin, dass sie heißer und heller sind als Sterne, die in weniger extremen Umgebungen, wie der galaktischen Scheibe, entstehen.
Als weiteren Beleg bestimmten die Astronomen auch Bewegung und Geschwindigkeit der Sterne. Das Licht der meisten Sterne in der Region deutet darauf hin, dass sie sich mit sehr großen Geschwindigkeiten vom Zentrum der Galaxie wegbewegen – wie es bei Objekten der Fall wäre, die in einem Strahl aus Materie vom Kern der Galaxie weggeschleudert werden.
Koautorin Helen Russell vom Institute of Astronomy, Cambridge in Großbritannien fügt hinzu: „Die Sterne, die im Wind in der Nähe des Galaxienzentrums entstehen, könnten durch dessen Anziehungskraft langsamer werden und sogar wieder nach innen wandern. Die Sterne, die weiter außen im Wind entstehen, werden allerdings weniger abgebremst und können die Galaxie sogar ganz verlassen.“
Die Entdeckung liefert neue und interessante Informationen und könnte unser Verständnis einiger astrophysikalischer Fragen verbessern. Dazu zählt: wie die jeweilige Form einer Galaxie entsteht [4], wie intergalaktischer Raum mit schweren Elementen angereichert wird [5] und sogar woher die infrarote Hintergrundstrahlung im Kosmos kommen könnte [6].
Maiolino ist gespannt, was die Zukunft bringt: „Wenn tatsächlich in den meisten galaktischen Winden Sternentstehung stattfindet, wie es manche Theorien vorhersagen, dann würde das unser Verständnis von Galaxienentwicklung komplett auf den Kopf stellen.“
Endnoten
[1] Die Sternentstehungsrate in den Winden ist sehr hoch; Astronomen gehen davon aus, dass die Gesamtmasse neu entstandener Sterne pro Jahr etwa 30 Sonnenmassen beträgt. Das macht mehr als ein Viertel der gesamten Sternentstehung in dem verschmelzenden Galaxiensystem aus.
[2] Der Gasausstoß in Form von Winden führt zu einer gasarmen Umgebung innerhalb der Galaxie, was der Grund dafür sein könnte, dass manche Galaxien mit zunehmendem Alter aufgehört haben, neue Sterne zu bilden. Auch wenn es am wahrscheinlichsten ist, dass diese Winde von massereichen Schwarzen Löchern im Zentrum angetrieben werden, könnte es auch möglich sein, dass sie ihre Energie aus Supernovae beziehen, die in einem Kern stattfinden, in dem die Sternentstehungsrate besonders hoch ist.
[3] Das gelang durch den Nachweis charakteristischer Merkmale junger Sternpopulationen und mit einem Geschwindigkeitsprofil, das mit dem übereinstimmt, wie man es bei Sternen erwartet, die im Wind bei hoher Geschwindigkeit entstehen.
[4] Spiralgalaxien haben eine auffällige Scheibenstruktur mit einer Wölbung aus Sternen im Zentrum, und sind von einer diffusen Wolke aus Sternen umgeben, dem sogenannten Halo. Elliptische Galaxien bestehen hauptsächlich aus diesen kugelförmigen Komponenten. Sterne, die in Winden aus der Galaxienscheibe herausgeschleudert werden, könnten für diese galaktischen Eigenschaften verantwortlich sein.
[5] Wie der Raum zwischen Galaxien – das intergalaktische Medium – mit schweren Elementen angereichert wird, ist noch immer Gegenstand aktueller Forschung, jedoch könnten Sterne in Winden eine Antwort liefern. Wenn sie aus der Galaxie herausgeschleudert werden und als Supernovae explodieren, könnten die schweren Elemente, die in den Sternen enthalten sind, in das intergalaktische Medium gelangen.
[6] Kosmische infrarote Hintergrundstrahlung, ähnlich der bekannteren kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung, ist ein schwaches Glühen im infraroten Teil des Spektrums, das aus allen Richtungen im Weltraum zu kommen scheint. Ihr Ursprung in den nahinfraroten Bändern konnte jedoch nie ausreichend ermittelt werden. Eine Sternpopulation in Winden, die in den intergalaktischen Raum geschleudert wurde, könnte zu diesem Licht beigetragen haben.
Weitere Informationen
Die hier vorgestellten Ergebnisse von Maiolino et al. sind Inhalt des Fachartikels „Star formation in a galactic outflow“, der am 27. März in der Zeitschrift Nature erscheint.
Die beteiligten Wissenschaftler sind R. Maiolino (Cavendish Laboratory; Kavli Institute for Cosmology, University of Cambridge, Großbritannien), H.R. Russell (Institute of Astronomy, Cambridge, Großbritannien), A.C. Fabian (Institute of Astronomy, Cambridge, Großbritannien), S. Carniani (Cavendish Laboratory; Kavli Institute for Cosmology, University of Cambridge, Großbritannien), R. Gallagher (Cavendish Laboratory; Kavli Institute for Cosmology, University of Cambridge, Großbritannien), S. Cazzoli (Departamento de Astrofisica-Centro de Astrobiología, Madrid, Spanien), S. Arribas (Departamento de Astrofisica-Centro de Astrobiología, Madrid, Spanien), F. Belfiore (Cavendish Laboratory; Kavli Institute for Cosmology, University of Cambridge, Großbritannien), E. Bellocchi (Departamento de Astrofisica-Centro de Astrobiología, Madrid, Spanien), L. Colina (Departamento de Astrofisica-Centro de Astrobiología, Madrid, Spanien), G. Cresci (Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Florenz, Italien), W. Ishibashi (Universität Zürich, Zürich), A. Marconi (Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Florenz, Italien), F. Mannucci (Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Florenz, Italien), E. Oliva (Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Florenz, Italien) und E. Sturm (Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, Garching).
Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist einer der Hauptpartner bei ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
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Joerg Gasser (Pressekontakt Schweiz)
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1710de-ch |
Name: | IRAS F23128-5919 |
Typ: | Early Universe : Galaxy : Activity : AGN Early Universe : Galaxy : Component : Central Black Hole |
Facility: | Very Large Telescope |
Instruments: | MUSE, X-shooter |
Science data: | 2017Natur.544..202M |