Pressemitteilung
Lost in Space: Planetarischer Einzelgänger ausfindig gemacht?
Verwaister Himmelskörper könnte helfen zu erklären wie Sterne und Planeten entstehen
14. November 2012
Astronomen haben mit dem Very Large Telescope der ESO und dem Canada-France-Hawaii Telescope einen Himmelskörper beobachtet, bei dem es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Planeten handelt, der ohne einen Mutterstern durch das Weltall vagabundiert. Von allen Kandidaten für solche frei beweglichen Planeten ist er damit bei weitem der interessanteste und mit einer Entfernung von etwa 100 Lichtjahren auch der unserem Sonnensystem am nächsten gelegene. Diese vergleichsweise geringe Distanz in Kombination mit der Abwesenheit eines hellen Sterns in unmittelbarer Nähe hat es den Wissenschaftlern ermöglicht, die Atmosphäre des Objekts detailliert zu untersuchen. Das bietet einen Vorgeschmack auf direkte Untersuchungen von Planeten um andere Sterne, wie sie zukünftige Generationen von Instrumenten leisten können sollen.
Frei bewegliche Planeten sind Himmelskörper mit der Masse normaler Planeten, die sich aber vollkommen ungebunden an einen Stern durch das Weltall bewegen. Mögliche Kandidaten für solche Objekte waren bereits zuvor entdeckt worden [1], aber solange ihr Alter nicht bekannt ist, können Astronomen nicht eindeutig feststellen, ob es sich dabei tatsächlich um Planeten oder um sogenannte Braune Zwerge handelt – Sterne, die zu klein geraten sind, um dauerhaft in ihrem Inneren Kernfusion zu betreiben, was letztlich die Energiequelle für das Leuchten eines jeden Sterns darstellt.
Jetzt haben Astronomen mit dem Canada France Hawaii Telescope einen Himmelskörper entdeckt, der die Bezeichnung CFBDSIR2149 erhalten hat [2]. Er scheint zu einer Ansammlung nahegelegener junger Sterne zu gehören, die unter dem Namen AB Doradus-Bewegungshaufen bekannt ist. Dank der Leistungsfähigkeit des Very Large Telescope der ESO waren die Forscher anschließend in der Lage, auch seiner Natur und seinen Eigenschaften auf den Grund zu gehen [3].
Der AB Doradus-Bewegungshaufen ist die unserem Sonnensystem am nächsten gelegene derartige Sterngruppe. Die darin enthaltenen Sterne bewegen sich gemeinsam mit in etwa derselben Geschwindigkeit und in dieselbe Richtung durch das Weltall. Man geht daher davon aus, dass sie auch gemeinsam entstanden sind. Unter der Annahme, dass CFBDSIR2149 zu diesem Bewegungshaufen gehört und demnach ein relativ junger Himmelskörper ist, lassen sich Rückschlüsse auf weitere Eigenschaften ziehen, wie etwa seine Oberflächentemperatur, seine Masse und die Zusammensetzung seiner Atmosphäre [4]. Allerdings besteht nach wie vor eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Ähnlichkeit von CFBDSIR2149 mit den Mitgliedern der Gruppe nur zufällig ist.
Die Verbindung von CFBDSIR2149 zu der Sterngruppe liefert den entscheidenden Hinweis auf das Alter dieses Objekts [5]. Dies wäre der erste Himmelskörper mit einer planetenartigen Masse in einem solchen Bewegungshaufen. Die Verknüpfung mit dieser speziellen Gruppe macht CFBDSIR2149 außerdem zu dem bislang interessantesten Kandidaten für einen solchen freifliegenden Planeten überhaupt.
„Zu versuchen Planeten um andere Sterne direkt zu beobachten, ist so als ob man ein Glühwürmchen einen Zentimeter neben einem hellen und weit entfernten Autoscheinwerfer sehen möchte”, erläutert Philippe Delorme vom Institut de planétologie et d’astrophysique in Grenoble an der französischen CNRS/Université Joseph Fourier, der Erstautor der neuen Studie. „Bei diesem uns nahen, frei herumvagabundierenden Himmelsobjekt können wir sozusagen das Glühwürmchen detailliert untersuchen, ohne dass das blendende Licht des Scheinwerfers dabei stört.”
Frei bewegliche Objekte wie CFBDSIR2149 sind entweder wie normale Planeten entstanden und dann aber aus ihrem Heimatsystem herausgeschleudert worden, oder aber sie entstehen als Einzelkörper, so wie die kleinsten Sterne oder Braune Zwerge. Unabhängig davon, welches dieser beiden Szenarien zutrifft, sind sie aber hochinteressante Studienobjekte: entweder als Planeten ohne Sterne oder als die kleinstmöglichen Himmelskörper am unteren Ende der Skala, die von den massereichsten Sternen bis hinunter zu den kleinsten Braunen Zwergen reicht.
„Derart kleine Himmelskörper wie dieser sind sehr wichtig, denn sie helfen uns zu verstehen inwieweit Planeten aus ihren Heimatsystemen herausgeschleudert werden oder eben wie leicht die kleinsten Einzelobjekte werden, die in Sternentstehungsgebieten entstehen”, ergänzt Delorme. „Wenn es sich bei diesem kleinen Körper tatsächlich um einen Planeten handelt, der aus dem Planetensystem herausgekickt wurde, in dem er geboren wurde, lässt das natürlich vor unseren Augen das Bild von lauter solchen Planeten-Waisen entstehen, die ziellos durch das Weltall treiben.”
Von solchen Welten könnte es viele geben – möglicherweise genauso viele wie normale Sterne [6]. Kann man CFBSIR2149 allerdings nicht dem AB Doradus-Bewegungshaufen zuordnen, sind seine Natur und seine Eigenschaften allerdings wesentlich unsicherer. Er könnte dann auch ein kleiner Brauner Zwerg sein. Beide Szenarien stehen aber dennoch für bedeutende Fragen hinsichtlich dessen wie sich Sterne und Planeten bilden und verhalten.
„Weitergehende Untersuchungen werden endgültig klären, ob CFBSIR2149 nun ein frei beweglicher Planet ist”, schließt Delorme. „Er könnte dann als Testfall für das Verständnis der Physik ähnlicher Exoplaneten herhalten, wie sie in Zukunft mit abbildenden Hochkontrast-Systemen entdeckt werden könnten – zum Beispiel mit dem SPHERE-Instrument, das demnächst am VLT installiert wird.”
Endnoten
[1] In der Vergangenheit wurde bereits eine Vielzahl ähnlicher Kandidaten für frei bewegliche Planeten entdeckt, siehe entsprechende Pressemitteilungen und Fachartikel zum Beispiel vom Science Magazine, Nature und der Royal Astronomical Society. Die ersten solchen Objekte sind bereits seit den 90er Jahren bekannt, als die Atronomen feststellten, dass es schwierig ist, die genaue Massengrenze zwischen einem Braunen Zwerg und einem Planeten zu bestimmen. Neuere Studien haben mittlerweile ergeben, dass es in unserer Milchstraße große Mengen dieser Kleinkörper geben dürfte - möglicherweise fast doppelt so viele wie normale Hauptreihensterne.
[2] Das Objekt wurde im Rahmen einer Erweiterung des Canada-France Brown Dwarfs Survey (CFBDS) auf den Infrarotbereich entdeckt, einem Durchmusterungsprojekt zur Suche nach kühlen Braunen Zwergen. Die Langfasssung der Bezeichnung lautet CFBDSIR J214947.2-040308.9.
[3] Die Wissenschaftler beobachteten CFBSIR2149 sowohl mit der Kamera WIRCam am Canada France Hawaii Telescope auf Hawaii als auch mit dem SOFI-Instrument am New Technology Telescope der ESO in Chile. Die jeweiligen Bilder wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen und ermöglichten so die Bestimmung der Eigenbewegung des Objekts am Himmel, die daraufhin mit den Werten der Mitglieder des AB Doradus-Bewegungshaufens verglichen werden konnte. Die detaillierte Untersuchung der Atmosphäre des Himmelskörpers wurde mit dem X-Shooter-Spektrografen am Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium durchgeführt.
[4] Durch die Verknüpfung mit dem AB Doradus-Bewegungshaufen ergäbe sich für CFBSIR2149 eine Masse im Bereich des vier- bis siebenfachen der Jupitermasse und eine Effektivtemperatur von etwa 430°C. Sein Alter würde mit 50 bis 120 Millionen Jahren dem des Bewegungshaufens entsprechen.
[5] Die statistische Analyse der jährlichen Eigenbewegung des Objekts am Himmel ergab eine Wahrscheinlichkeit von 87% dafür, dass es zum AB Doradus-Bewegungshaufen gehört, und eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 95% dafür, dass es jung genug ist, um eine planetenartige Masse zu haben. Insgesamt ist daher sehr viel wahrscheinlicher, dass es sich anstelle eines zu klein geratenen Sterns um einen frei beweglichen Planeten handelt. In sehr jungen Sternhaufen hat man zwar noch weitere Kandidaten für frei bewegliche Planeten gefunden. Diese lassen sich aufgrund ihrer größeren Entfernung aber nicht so eingehend untersuchen.
[6] Frei bewegliche Himmelskörper können ihre Existenz auch durch den sogenannten Mikrogravitationslinseneffekt verraten: Laufen sie von der Erde aus gesehen vor einem Stern vorbei, dann wird das Licht des Sterns abgelenkt und verzerrt, so dass man den Stern kurzzeitig heller leuchten sieht. Mikrogravitationslinsen-Durchmusterungsprogramme wie das OGLE-Projekt könnten auf diese Weise bereits einen frei beweglichen Planeten entdeckt haben; eine entsprechende Veröffentlichtung erschien 2011 in der Fachzeitschrift Nature.
Weitere Informationen
Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse von Delorme et al. erscheinen am 14. November 2012 unter dem Titel „CFBDSIR2149-0403: a 4-7 Jupiter-mass free-floating planet in the young moving group AB Doradus?” in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Die beteiligten Wissenschaftler sind P. Delorme (Institut de planétologie et d’astrophysique de Grenoble, CNRS/Université Joseph Fourier, Frankreich [IPAG]), J. Gagné (Université de Montréal, Kanada), L. Malo (Université de Montréal), C. Reylé (Université de Franche Comté, Frankreich), E. Artigau (Université de Montréal), L. Albert (Université de Montréal), T. Forveille (IPAG), X. Delfosse (IPAG), F. Allard (Université Claude Bernard Lyon 1, Frankreich), D. Homeier (Université Claude Bernard Lyon 1).
Im Jahr 2012 feiert die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) das 50-jährige Jubiläum ihrer Gründung. Die ESO ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop mit 39 Metern Durchmesser für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird: das European Extremely Large Telescope (E-ELT).
Das Canada-France-Hawaii Telescope (CFHT) wird vom National Research Council of Canada, dem Institut National des Sciences de l'Univers des französischen Centre National de la Recherche Scientifique und der University of Hawaii betrieben.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Links
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E-Mail: philippe.delorme@obs.ujf-grenoble.fr
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IPAG-OSUG (Observatoire des Sciences de l'Univers de Grenoble)
Grenoble, France
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1245de |
Name: | CFBDSIR J214947.2-040308.9 |
Typ: | Milky Way : Planet |
Facility: | CFHT, New Technology Telescope, Very Large Telescope |
Instruments: | SOFI, X-shooter |
Science data: | 2012A&A...548A..26D |