Pressemitteilung
Von explosiver Sternentstehung zu ihrem Versiegen
ALMA wirft ein neues Licht auf das Rätsel der fehlenden massereichen Galaxien
24. Juli 2013
Neue Beobachtungen mit dem ALMA-Observatorium in Chile haben Astronomen haben erstmals enthüllt, wie starke Sternentstehung Gas aus einer Galaxie heraustreiben kann und so zukünftige Sterngenerationen aus Mangel an Material für Entstehung und Wachstum sprichwörtlich verhungern lässt. Die dramatischen Aufnahmen zeigen gewaltige Ausströmungen molekularen Gases, die von Sternentstehungsregionen un der nahegelegenen Sculptor-Galaxie ausgestoßen werden. Diese neuen Ergebnisse liefern ein wichtiges Puzzlestück zur Klärung des seltsamen Phänomens, dass besonders massereiche Galaxien im Universum eher selten sind. Die dazugehörige Studie erscheint am 25. Juli 2013 in der Fachzeitschrift Nature.
Galaxien – Systeme aus bis zu Hunderten Milliarden von Sternen wie unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße – sind die Grundbausteine des Kosmos auf großen Skalen. Ein wichtiges Ziel der Astronomie ist es, zu verstehen, wie sich Galaxien ausgehend von den ersten Protogalaxien kurz nach dem Urknall bis heute entwickelt haben. Eine entscheidende Frage dabei: Was bestimmt, wie viele Sterne in einer Galaxie entstehen?
NGC 253, auch bekannt als Sculptor-Galaxie, ist eine Spiralgalaxie im Sternbild Sculptor (der Bildhauer) am Südsternhimmel. Mit einer Entfernung von 11,5 Millionen Lichtjahren ist sie einer unserer näheren galaktischen Nachbarn und die uns nächste von der Südhalbkugel aus sichtbare Starburst-Galaxie [1]. Mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) haben Astronomen die Zentralregion von NGC 253 anvisiert – und fanden in der Tat molekulares Gas, das senkrecht zur galaktischen Scheibe ausströmt!
„Mit ALMAs Empfindlichkeit und seinem hervorragenden Auflösungsvermögen konnten wir zum ersten Mal starke Konzentrationen kalten Gases ausmachen, das durch die starken Druckwellen weggeblasen wird, die sich in Form von sich ausdehnenden Hüllen um die jungen Sterne ausbilden”, erklärt Alberto Bolatto von der University of Maryland in den USA und zur Zeit auf einem Forschungssemester am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der Erstautor der Studie. „Die Gasmenge, die wir messen, zeigt deutlich, dass einige sternbildende Galaxien mehr Gas ausspucken als sie aufnehmen. Wir könnten also heute Zeuge eines Phänomens sein, das im frühen Universum häufig vorgekommen ist.”
Diese Ergebnisse könnten mit dazu beitragen zu erklären, warum Astronomen bislang erstaunlich wenige Galaxien mit hoher Masse im Universum gefunden haben. Computermodelle zeigen, dass ältere, rötliche Galaxien deutlich mehr Masse haben und aus viel mehr Sternen bestehen sollten als man es beobachtet. Es scheint als wären die galaktischen Winde oder Gasausströmungen so stark, dass sie der Galaxie den Nachschub an Materie für die nächste Generation von Sternen entziehen würden [2].
„Diese Strukturen liegen auf einem Bogen, der nahezu perfekt mit den Rändern der zuvor beobachteten Ausströmungen aus heißem ionisiertem Gas übereinstimmt”, merkt Fabian Walter an, einer der Koautoren des Fachartikels und führender Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. „Wir können jetzt Schritt für Schritt verfolgen, wie sich aus starker Sternentstehung solche Ausströmungen entwickeln.”
Die Wissenschaftler haben ermittelt, dass gewaltige Mengen molekularen Gases – etwa das Zehnfache der Masse unserer Sonne pro Jahr, vermutlich sogar mehr – mit Geschwindigkeiten zwischen 150.000 und 1.000.000 Kilometern pro Stunde aus der Galaxie ausgestoßen werden [3]. Die Gesamtmenge des herausgeblasenen Gases wäre demnach mehr als das, was im selben Zeitraum in die Entstehung von Sternen innerhalb der Galaxie umgesetzt werden würde. Bei dieser Rate würde der Galaxie bereits in 60 Millionen Jahren das Gas ausgehen.
„Für mich ist das ein Paradebeispiel dafür, wie neue Instrumente die Zukunft der Astronomie bestimmen. Wir haben die Starburst-Region in NGC 253 und andere nahegelegene Starburst-Galaxien fast zehn Jahre lang untersucht. Aber bevor es ALMA gab, hatten wir keine Chance, derart feine Details zu sehen“ erklärt Walter. Für die Studie wurde eine frühe Konfiguration von ALMA mit nur 16 Antennen verwendet. „Es ist aufregend, sich auszumalen, was uns die komplette ALMA mit ihren 66 Antennen über diese Art von Materieströmen zeigen wird“, schließt Walter.
Weitere Studien mit der gesamten ALMA-Anlage werden dazu beitragen, das endgültige Schicksal des Gases zu bestimmen, das vom Sternwind weggetragen wird. Dabei wird sich zeigen, ob die von der Sternentstehung getriebenen Winde das sternbildende Material recyclen oder tatsächlich aus der Galaxie entfernen.
Endnoten
[1] Starburst-Galaxien erzeugen mit einer außergewöhnlich hohen Rate neue Sterne. NGC 253 ist eine der nächstgelegenen Galaxien dieses Typs und damit ein ideales Beobachtungsziel für die Untersuchung der Auswirkungen dieses enormen Sternwachstums auf die Galaxie selber.
[2] Vorangegangene Beobachtungen hatten bereits gezeigt, dass heißeres, aber wesentlich dünneres Material von den Sternentstehungregionen in NGC 253 wegströmt. Das alleine hätte allerdings nur geringe Auswirkungen auf das Schicksal der Galaxie und ihre Fähigkeit weitere Sterngenerationen zu erzeugen, wenn überhaupt. Die neuen ALMA-Daten zeigen viel dichteres molekulares Gas dabei, wie es duch die Entstehung neuer Sterne seinen ersten Schub bekommt und dann zusammen mit dem dünnen, heißen Gas in den galaktischen Halo hinausgespült wird.
[3] Obwohl die Geschwindigkeiten sehr hoch sind, könnten sie dennoch nicht ausreichen, um das Gas aus der Galaxie herauszutreiben. Es wäre dann für Millionen Jahre im galaktischen Halo gefangen und könnte schließlich wieder zurück auf die galaktische Scheibe regnen und dort neue Phasen der Sternentstehung auslösen.
Weitere Informationen
Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Von europäischer Seite aus wird ALMA über die Europäische Südsternwarte (ESO) finanziert, in Nordamerika von der National Science Foundation (NSF) der USA in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC) und dem taiwanesischen National Science Council (NSC), und in Ostasien von den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan. Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die ESO federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.
Die hier vorgestellten Ergebnisse von Alberto D. Bolatto et al. erscheinen am 25. Juli 2013unter dem Titel „The Starburst-Driven Molecular Wind in NGC 253 and the Suppression of Star Formation” in der Fachzeitschrift Nature.
Die beteiligten Wissenschaftler sind A. D. Bolatto (Department of Astronomy, Laboratory for Millimeter-wave Astronomy, and Joint Space Institute, University of Maryland, USA), S. R. Warren (University of Maryland), A. K. Leroy (National Radio Astronomy Observatory, Charlottesville, USA), F. Walter (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), S. Veilleux (University of Maryland), E. C. Ostriker (Department of Astrophysical Sciences, Princeton University, USA), J. Ott (National Radio Astronomy Observatory, New Mexico, USA), M. Zwaan (Europäische Südsternwarte, Garching), D. B. Fisher (University of Maryland), A. Weiss (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn), E. Rosolowsky (Department of Physics, University of Alberta, Canada) und J. Hodge (Max-Planck-Institut für Astronomie).
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner bei den neuartigen Verbundteleskop ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop mit 39 Metern Durchmesser für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird: das European Extremely Large Telescope (E-ELT).
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Links
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1334de-be |
Name: | NGC 253 |
Typ: | Local Universe : Galaxy : Activity : Starburst |
Facility: | Atacama Large Millimeter/submillimeter Array |
Science data: | 2013Natur.499..450B |