Pressemitteilung
Rätsel um pulsierende Sterne gelöst
24. November 2010
Ein internationales Astronomenteam hat das erste Doppelsternsystem entdeckt bei dem sich ein pulsierender veränderlicher Stern vom Typ der Cepheiden und sein Begleitstern gegenseitig bedecken. Ein Jahrzehnte altes Rätsel konnte damit gelöst werden. Die seltene Ausrichtung der Bahnen der beiden Sterne im Doppelsternsystem ermöglichte eine genauere Bestimmung der Masse des Cepheiden als je zuvor. Bisher verfügten Astronomen über zwei miteinander unverträgliche theoretische Vorhersagen für die Massen von Cepheiden. Die neuen Resultate bestätigen nun die Vorhersage aus der Theorie stellarer Pulsationen, während die Abschätzungen aus der Theorie der Sternentwicklung mit den Beobachtungen nicht vereinbar sind.
Die neuen Forschungsergebnisse des Teams, das von Grzegorz Pietrzyński (Universidad de Concepción, Chile, Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen) geleitet wird, erscheinen am 25. November 2010 im Fachmagazin Nature.
Grzegorz Pietrzyński berichtet zu dem bemerkenswerten Resultat: “Indem wir das HARPS Instrument am 3,6 Meter Teleskop des ESO Observatoriums auf La Silla in Chile zusammen mit anderen Teleskopen verwendeten, gelang es uns die Masse eines Cepheiden weit genauer als in bisherigen Studien zu messen. Dieses neue Ergebnis ermöglicht es uns sofort festzustellen welche der beiden konkurrierenden Theorien zur Vorhersage der Massen von Cepheiden die richtige ist.”
Klassische veränderliche Sterne vom Typ der Cepheiden, kurz “Cepheiden”, sind instabile Sterne die großer und viel heller als die Sonne sind [1]. Sie dehnen sich regelmäßig aus und ziehen sich anschließend wieder zusammen, wobei ein solcher Kreislauf je nach Stern zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten dauert. Die Zeit die der Cepheide braucht um heller und anschließend wieder dunkler zu werden ist vergleichsweise länger bei leuchtkräftigeren Sternen und kürzer bei leuchtschwächeren. Der erstaunlich präzise Zusammenhang macht die Untersuchung von Cepheiden zu einem der besten Werkzeuge zur Vermessung der Entfernungen naher Galaxien, und ist ein Schritt zur Bestimmung aller Distanzen im Universum [2].
Unglücklicherweise versteht man die Cepheiden trotz ihrer großen Bedeutung noch nicht vollständig. Vorhersagen ihrer Massen aus der Theorie der Sternpulsationen liegen 20-30% niedriger als Vorhersagen aus der Theorie der Sternentwicklung. Dieses drängende Problem ist seit den 1960er Jahren bekannt.
Um das Rätsel zu lösen mussten die Astronomen einen Doppelstern finden der einen Cepheiden enthält und dessen Bahnebene man von der Erde aus in Kantenlage sieht. In einem solchen System, das man als „Bedeckungsveränderlichen“ bezeichnet, ändert sich die scheinbare Helligkeit der Sterne wenn einer der Partner auf seiner Umlaufbahn vor dem anderen vorbeizieht, und nochmals wenn er hinter seinem Begleiter durchläuft. Für so ein Paar können Astronomen die Massen der Sterne sehr genau bestimmen [3]. Leider sind sowohl Cepheiden als auch Bedeckungsveränderliche selten, so dass die Chance so ein ungewöhnliches Paar zu finden recht gering zu sein schien. In der Milchstraße ist kein derartiges Sternenpaar bekannt.
Wolfgang Gieren, ein weiteres Teammitglied, greift den Faden auf: “Vor kurzem haben wir tatsächlich in der Großen Magellanschen Wolke das Doppelsternsystem gefunden auf das wir gehofft hatten. Es enthält einen Cepheiden der mit einer Periode von 3,8 Tagen pulsiert. Der Begleitstern ist etwas grösser und kühler. Beide Sterne umkreisen sich einmal alle 310 Tage. Bei der Beobachtung mit dem HARPS Spektrographen auf La Silla offenbarte sich sofort die wahre Natur des Objekts als Doppelsternsystem.”
Während die beiden Sterne auf ihren Umlaufbahnen voreinander herzogen, vermaßen die Beobachter sorgfältig die Helligkeitsschwankungen des seltenen Objekts, das die Bezeichnung OGLE-LMC-CEP0227 [4] trägt. Ebenso verwendeten sie HARPS und andere Spektrographen um die Bewegungen der Sterne auf die Erde zu und von ihr Weg zu messen – und zwar sowohl die Umlaufbewegung beider Sterne, als auch die Bewegung der Oberfläche des Cepheiden während er anschwoll und sich wieder zusammenzog.
Der vollständige und sehr detaillierte Datensatz ermöglichte den Beobachtern die Bestimmung der Bahnbewegung, der Größen und der Massen beider Sterne mit großer Genauigkeit – und viel genauer als das jemals zuvor für einen Cepheiden gelungen war. Dessen Masse ist nun mit einer Unsicherheit von lediglich noch etwa 1% bekannt, und stimmt exakt mit Vorhersagen aus der Theorie der Sternpulsationen überein. Die Vorhersage einer größeren Masse aus der Theorie der Sternentwicklung stellte sich dagegen als falsch heraus.
Die stark verbesserte Bestimmung der Masse ist nur eines der Ergebnisse der Studie. Das Team hofft, weitere Exemplare dieser bemerkenswert nützlichen Sternpaare zu finden, um die beschriebene Methode noch mehrfach anwenden zu können. So glauben die Forscher mit Hilfe solcher Doppelsternsysteme schließlich die Entfernung zur großen Magellanschen Wolke mit einer Genauigkeit von 1% bestimmen zu können. Das wiederum wäre eine äußerst wichtige Verbesserung der kosmischen Entfernungsleiter.
Endnoten
[1] Die ersten Veränderlichen vom Typ der Cepheiden wurden im 18. Jahrhundert entdeckt, und die Helligkeitsschwankungen der hellsten unter ihnen können von Nacht zu Nacht bereits mit dem bloßen Auge verfolgt werden. Ihr Name leitet sich vom Stern Delta Cephei im Sternbild Cepheus (der König Kepheus) ab, dessen Lichtwechsel von John Goodricke in England im Jahr 1784 entdeckt wurde. Bemerkenswerterweise gelang Goodricke auch die Erklärung des Lichtwechsels einer anderen Klasse von veränderlichen Sternen, nämlich der Bedeckungsveränderlichen. Das sind Doppelsternsysteme, bei denen die Partner als Teil ihrer Bahnbewegungen jeweils vor und hinter dem Begleiter vorüber ziehen, was als scheinbare Abschwächung der Gesamthelligkeit des Paares zu beobachten ist. Das sehr seltene Objekt, das in der besprochenen Studie untersucht wurde, ist sowohl ein Cepheide als auch ein Bedeckungsveränderlicher. Klassische Cepheiden sind massereiche Sterne, und unterscheiden sich von pulsierenden Veränderlichen geringerer Masse unter anderem in ihrer Entwicklungsgeschichte.
[2] Die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung der Cepheiden wurde 1908 von Henrietta Leavitt entdeckt, und von Edwin Hubble verwendet um erste Abschätzungen der Entfernungen zu Objekten durchzuführen von denen wir heute wissen dass sie fremde Galaxien sind. Cepheiden wurden mit dem Hubble Space Telescope und dem ESO VLT auf dem Paranal beobachtet um sehr genaue Entfernungen zu vielen nahen Galaxien zu messen.
[3] Insbesondere können Astronomen die Massen der beiden Sterne mit sehr hoher Genauigkeit bestimmen wenn beide Sterne ähnlich hell sind, und daher die Spektrallinien beider Partner gleichzeitig im beobachteten Spektrum sichtbar sind. Dies ist bei dem beschriebenen Objekt der Fall.
[4] Die Bezeichnung OGLE-LMC-CEP0227 verweist darauf dass die Veränderlichkeit des Objekts im Rahmen des OGLE Projektes zur Suche nach Mikro-Gravitationslinsen-Ereignissen entdeckt wurde. Weiterführende Informationen zu OGLE sind unter http://ogle.astrouw.edu.pl/ verfügbar.
Weitere Informationen
Die Forschungsergebnisse wurden im Fachmagazin Nature am 25 November 2010 veröffentlicht.
Das Team besteht aus G. Pietrzyński (Universidad de Concepción, Chile, Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen), I. B. Thompson (Carnegie Observatories, USA), W. Gieren (Universidad de Concepción, Chile), D. Graczyk (Universidad de Concepción, Chile), G. Bono (INAF-Osservatorio Astronomico di Roma, Universita’ di Roma, Italien), A. Udalski (Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen), I. Soszyński (Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen), D. Minniti (Pontificia Universidad Católica de Chile) und B. Pilecki (Universidad de Concepción, Chile, Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen).
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, sowie VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1046de-at |
Name: | OGLE LMC-CEP-227 |
Typ: | Local Universe : Star : Grouping : Binary |
Facility: | ESO 3.6-metre telescope |
Instruments: | HARPS |
Science data: | 2010Natur.468..542P |