Pressemitteilung
Rekordstern weit größer als gedacht: Stern mit 300 Sonnenmassen entdeckt
21. Juli 2010
Mithilfe von Beobachtungen mit mehreren Instrumenten am Very Large Telescope der ESO haben Astronomen die bislang massereichsten Sterne entdeckt. Einer dieser Sterne muß bei seiner Entstehung mehr als die 300-fache Masse der Sonne gehabt haben. Das entspricht dem Doppelten des bisher angenommenen Maximalwerts von 150 Sonnenmassen, oberhalb dessen Sterne eigentlich instabil sein sollten. Derart massereiche Sternenmonster sind millionenfach heller als die Sonne und verlieren einen Großteil ihrer Masse, indem sie intensive Teilchenwinde in den Kosmos blasen. Ihre Existenz birgt möglicherweise eine Antwort auf die Frage, wie massereich Sterne überhaupt werden können.
Ein Team von Astronomen um Paul Crowther, Professor für Astrophysik an der Universität Sheffield, hat mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO zwei junge Sternhaufen namens NGC 3603 und RMC 136a genauestens untersucht und diese Beobachtungen durch Archivdaten des NASA/ESA-Weltraumteleskops Hubble ergänzt.
NGC 3603 ist eine Art von kosmischer Fabrik, in deren ausgedehnten Wolken aus Gas und Staub pausenlos neue Sterne entstehen (eso1005). Das Sternentstehungsgebiet liegt etwa 22.000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild “Kiel des Schiffs”. RMC 136a (oft abgekürzt als R136) ist ebenfalls ein Sternhaufen aus jungen massereichen und heißen Sternen. Er befindet sich innerhalb des Tarantelnebels in der Großen Magellanschen Wolke, einer Galaxie, die mit einer Entfernung von 165.000 Lichtjahren zu unserer näheren kosmischen Nachbarschaft zählt (eso0613).
Die Astronomen stießen bei ihren Beobachtungen auf mehrere Sterne, deren Oberflächentemperatur 40.000°C übersteigt und die damit mehr als sieben mal so heiß sind wie unsere Sonne. Diese Sterne sind außerdem mehrere Dutzend mal größer und millionenfach heller als die Sonne. Ordnet man diese Sterne in Modellreihen zur Sternentwicklung ein, stellt sich heraus, dass sie bei ihrer Entstehung eine Masse gehabt haben müssen, die die theoretische Obergrenze von 150 Sonnenmassen überschreitet. Der Stern R136a1, der sich im R136-Haufen befindet, ist dabei der massereichste bisher bekannte Stern überhaupt. Zur Zeit hat er etwa die 265-fache Masse der Sonne, bei seiner Entstehung dürften es bis zu 320 Sonnenmassen gewesen sein.
In NGC 3603 konnten die Astronomen die Massen von zwei Sternen in einem Doppelsternsystem aus ihrer Umlaufbewegung direkt bestimmen [1] und so die Modelle überprüfen, mit denen sie die Massen der anderen Sterne abgeschätzt hatten. Darüber hinaus hatte NGC 3603 durchaus seine eigenen Schwergewichte zu bieten: Die Astronomen fanden dort die Sterne A1, B und C, deren Massen bei ihrer Entstehung ebenfalls oberhalb oder nahe bei der Grenze von 150 Sonnenmassen lagen.
Sehr massereiche Sterne erzeugen extrem starke Sternwinde, die Materie von der Oberfläche des Sterns nach außen treiben. “Im Gegensatz zu Menschen werden solche Sterne als Schwergewichte geboren. Anstatt zu wachsen, nehmen sie ab, während sie älter werden” erklärt Paul Crowther. “R136a1, der 'beleibteste' von ihnen, ist gerade mal etwas über eine Million Jahre alt. Das ist bei einem Stern seiner Masse ein mittleres Alter. Es ist als wäre er auf einer strengen Diät, bei der er schon ein Fünftel seiner ursprünglichen Masse eingebüßt hat; in seinem Fall sind das mehr als 50 Sonnenmassen!”
Würde sich R136a1 anstelle der Sonne im Zentrum unseres Sonnensystems befinden, wäre er um denselben Faktor heller als die Sonne wie die Sonne heller als der Vollmond ist. “Durch seine gewaltige Schwerkraft würde sich das Jahr – also die Umlaufzeit der Erde – auf drei Wochen verkürzen. Außerdem würde er die Erde mit unglaublich starker UV-Strahlung beleuchten, was das Leben auf der Erde unmöglich machen würde” ergänzt Raphael Hirschi von der Universität Keele, ein Mitglied des Astronomenteams.
So massereiche Sterne wie R136a1 sind extrem selten. Sie bilden sich nur in den allerdichtesten Sternhaufen. Mit den hier vorgestellten Beobachtungen ist es erstmals geglückt, in den Zentren solcher Sternhaufen die einzelnen Sterne zu unterscheiden und getrennt voneinander zu beobachten. Dazu waren freilich Instrumente mit besonders guten Abbildungseigenschaften nötig, nämlich die Intrarotinstrumente am VLT [2].
Das Astronomenteam hat außerdem die größtmögliche Masse und die Häufigkeit der massereichsten Sterne in den beiden Sternhaufen abgeschätzt. “Sterne müssen mindestens die 80-fache Masse des Jupiters haben. Ansonsten gelingt es ihnen nicht, in ihrem Inneren die Fusion von Wasserstoff zu Helium zu starten, die Sternen als Energiequelle dient – scheitern sie an dieser Hürde, haben wir es mit so genannten Braunen Zwergen zu tun”, erläutert Teammitglied Olivier Schnurr vom Astrophysikalischen Institut in Potsdam. “Unsere Ergebnisse bestätigen die gängige Ansicht, dass es eine Obergrenze für die Masse von Sternen gibt. Allerdings hat sich der Zahlenwert für diese Obergrenze um einen Faktor zwei auf etwa 300 Sonnenmassen nach oben verschoben.”
In R136 gibt es nur vier Sterne, die es bei ihrer Entstehung auf mehr als 150 Sonnenmassen gebracht haben. Doch diese vier Sterne sind für fast die Hälfte der abströmenden Sternwinde und der abgestrahlten Energie des gesamten Sternhaufens verantwortlich, der insgesamt aus etwa 100.000 Sternen besteht. Allein R136a1 regt seine Umgebung mehr als 50 mal so stark zum Leuchten an wie der junge Sternhaufen im Orionnebel, von der Erde aus gesehen das nächste Sternentstehungsgebiet, in dem sich massereiche Sterne bilden.
Aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer und der starken Sternwinde ist es nicht einfach, nachzuvollziehen, wie sich massereiche Sterne überhaupt bilden. Extremfälle wie R136a1 machen es den Theoretikern noch schwerer: “Entweder sie sind tatsächlich in dieser Größe entstanden, oder aber sie haben sich aus mehreren kleinen Sternen gebildet”, erklärt Crowther.
Sterne mit dem 8 bis 150-fachen der Masse der Sonne beenden ihr vergleichsweise kurzes Leben mit einer Supernovaexplosion. Übrig bleiben dabei nur Neutronensterne oder Schwarze Löcher. Nachdem nun gezeigt ist, dass es auch Sterne mit 150 bis 300 Sonnenmassen gibt, steigen die Chancen, dass auch so genannte Paarinstabilitäts-Supernovae auftreten können, die extrem hell sind und bei deren Explosion gar kein Restkörper zurückbleibt. Solche Supernovae würden bis zu zehn Sonnenmassen an Eisen an die Umgebung abgeben. Einige Beobachtungen der letzten Jahre sind Kandidaten für diese Art von Supernovaexplosion.
R136a1 ist nicht nur der massereichste Stern, den die Astronomen kennen, sondern auch derjenige mit der größten Leuchtkraft. Sie beträgt fast das zehnmillionenfache der Leuchtkraft der Sonne. “Bedenkt man wie selten solche Sternmonster sind, glaube ich nicht, dass dieser Rekord so schnell gebrochen wird”, schließt Crowther.
Endnoten
[1] Der Stern A1 in der Sternentstehungsregion NGC 3603 ist ein Doppelsternsystem mit einer Umlaufszeit von 3,77 Tagen. Die beiden Sterne haben zur Zeit jeweils die 120fache und die 92fache Masse der Sonne. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung betrugen ihre Massen das 148fache und das 106fache der Masse der Sonne.
[2] Das Astronomenteam verwendete die Instrumente SINFONI, ISAAC und MAD, die sich alle am Very Large Telescope der ESO auf dem Berg Paranal in Chile befinden.
Weitere Informationen
Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse erscheinen unter dem Titel “The R136 star cluster hosts several stars whose individual masses greatly exceed the accepted 150 Msun stellar mass limit” in einem Artikel von P. Crowther et al. in der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
Die beteiligten Wissenschaftler sind Paul A. Crowther, Richard J. Parker und Simon P. Goodwin (University of Sheffield, Großbritannien), Olivier Schnurr (University of Sheffield und Astrophysikalisches Institut Potsdam), Raphael Hirschi (Keele University, Großbritannien) sowie Norhasliza Yusof und Hasan Abu Kassim (University of Malaya, Malaysia).
Mit dem Spectrograph for INtegral Field Observations in the Near Infrared (kurz SINFONI, wörtlich etwa "Räumlich aufgelöst arbeitender Spektrograf für das nahe Infrarot") werden spektroskopische Untersuchungen ausgedehnter Objekte im Nahinfrarotbereich durchgeführt. SINFONI besteht aus einem von der ESO entwickelten Modul für Adaptive Optik zum Ausgleich atmosphärischer Verzerrungen und dem Spektrografen SPIFFI (SPectrometer for Infrared Faint Field Imaging). SPIFFI wurde von der NOVA-Kollaboration niederländischer Universitäten und dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching konzipiert und gebaut.
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, sowie VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.
Links
Kontaktinformationen
Paul Crowther
University of Sheffield
UK
Tel: +44 114 222 4291
Mobil: +44 7946 638 474
E-Mail: Paul.Crowther@sheffield.ac.uk
Olivier Schnurr
Astrophysikalisches Institut Potsdam
Potsdam, Germany
Tel: +49 331 7499 353
E-Mail: oschnurr@aip.de
Henri Boffin
ESO, La Silla, Paranal and E-ELT Press Officer
Garching, Germany
Tel: +49 89 3200 6222
Mobil: +49 174 515 43 24
E-Mail: hboffin@eso.org
Markus Nielbock (Pressekontakt Deutschland)
ESO Science Outreach Network
und Haus der Astronomie
Heidelberg, Deutschland
Tel: +49 6221 528-134
E-Mail: eson-germany@eso.org
Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1030de |
Name: | RMC 136a |
Typ: | Local Universe : Star : Grouping : Cluster |
Facility: | Very Large Telescope |
Instruments: | ISAAC, SINFONI |
Science data: | 2010MNRAS.408..731C |
Our use of Cookies
We use cookies that are essential for accessing our websites and using our services. We also use cookies to analyse, measure and improve our websites’ performance, to enable content sharing via social media and to display media content hosted on third-party platforms.
ESO Cookies Policy
The European Organisation for Astronomical Research in the Southern Hemisphere (ESO) is the pre-eminent intergovernmental science and technology organisation in astronomy. It carries out an ambitious programme focused on the design, construction and operation of powerful ground-based observing facilities for astronomy.
This Cookies Policy is intended to provide clarity by outlining the cookies used on the ESO public websites, their functions, the options you have for controlling them, and the ways you can contact us for additional details.
What are cookies?
Cookies are small pieces of data stored on your device by websites you visit. They serve various purposes, such as remembering login credentials and preferences and enhance your browsing experience.
Categories of cookies we use
Essential cookies (always active): These cookies are strictly necessary for the proper functioning of our website. Without these cookies, the website cannot operate correctly, and certain services, such as logging in or accessing secure areas, may not be available; because they are essential for the website’s operation, they cannot be disabled.
Functional Cookies: These cookies enhance your browsing experience by enabling additional features and personalization, such as remembering your preferences and settings. While not strictly necessary for the website to function, they improve usability and convenience; these cookies are only placed if you provide your consent.
Analytics cookies: These cookies collect information about how visitors interact with our website, such as which pages are visited most often and how users navigate the site. This data helps us improve website performance, optimize content, and enhance the user experience; these cookies are only placed if you provide your consent. We use the following analytics cookies.
Matomo Cookies:
This website uses Matomo (formerly Piwik), an open source software which enables the statistical analysis of website visits. Matomo uses cookies (text files) which are saved on your computer and which allow us to analyze how you use our website. The website user information generated by the cookies will only be saved on the servers of our IT Department. We use this information to analyze www.eso.org visits and to prepare reports on website activities. These data will not be disclosed to third parties.
On behalf of ESO, Matomo will use this information for the purpose of evaluating your use of the website, compiling reports on website activity and providing other services relating to website activity and internet usage.
Matomo cookies settings:
Additional Third-party cookies on ESO websites: some of our pages display content from external providers, e.g. YouTube.
Such third-party services are outside of ESO control and may, at any time, change their terms of service, use of cookies, etc.
YouTube: Some videos on the ESO website are embedded from ESO’s official YouTube channel. We have enabled YouTube’s privacy-enhanced mode, meaning that no cookies are set unless the user actively clicks on the video to play it. Additionally, in this mode, YouTube does not store any personally identifiable cookie data for embedded video playbacks. For more details, please refer to YouTube’s embedding videos information page.
Cookies can also be classified based on the following elements.
Regarding the domain, there are:
- First-party cookies, set by the website you are currently visiting. They are stored by the same domain that you are browsing and are used to enhance your experience on that site;
- Third-party cookies, set by a domain other than the one you are currently visiting.
As for their duration, cookies can be:
- Browser-session cookies, which are deleted when the user closes the browser;
- Stored cookies, which stay on the user's device for a predetermined period of time.
How to manage cookies
Cookie settings: You can modify your cookie choices for the ESO webpages at any time by clicking on the link Cookie settings at the bottom of any page.
In your browser: If you wish to delete cookies or instruct your browser to delete or block cookies by default, please visit the help pages of your browser:
Please be aware that if you delete or decline cookies, certain functionalities of our website may be not be available and your browsing experience may be affected.
You can set most browsers to prevent any cookies being placed on your device, but you may then have to manually adjust some preferences every time you visit a site/page. And some services and functionalities may not work properly at all (e.g. profile logging-in, shop check out).
Updates to the ESO Cookies Policy
The ESO Cookies Policy may be subject to future updates, which will be made available on this page.
Additional information
For any queries related to cookies, please contact: pdprATesoDOTorg.
As ESO public webpages are managed by our Department of Communication, your questions will be dealt with the support of the said Department.